Ägypten


Nag Hammadi, Alexandria. „Nach den Anschlägen am 6. und 8. Januar in Nag Hammadi (Provinz Quena) in Oberägypten finden weltweit Trauergottesdienste und Demonstrationen gegen die Gewalt islamistischer Gruppierungen in Ägypten statt. Sechs junge Christen und ein muslimischer Polizist wurden tödlich vom Kugelhagel getroffen.“ Halt, das glauben wir gerade gehört und gelesen zu haben, nur ein wenig anders, nämlich so: „In der Hafenstadt Alexandria sind in der Neujahrsnacht bei einem Anschlag auf eine koptische Kirche 23 Menschen getötet worden.“ Die erste Nachricht stammt aus dem letzten Jahr; die zweite aus diesem. Die Übereinstimmung beinahe auf den Tag zeigt, dass Anschläge zum Christfest in Ägypten beinahe etwas Gewöhnliches sind, uns schnell abstumpfen lassen.

Junge Christen gingen in der Hafenstadt Alexandria demonstrierend auf die Straße, sie wollten von den nachträglichen Beileids- und Solidaritätsbekundungen hoher muslimischer Würdenträger nichts wissen. Doch ist bei allem Verständnis für ihre Empörung dies der falsche Weg. Eine Minderheit von zehn Prozent in einem überwiegend muslimischen arabischen Land sollte die Hand zur Versöhnung nicht zurückweisen, wenn sie denn ehrlich gemeint ist.  Die Verachtung, Unterdrückung und blutige Gewalt gegen die christlichen Kopten (der Name heißt nichts anderes als Ägypter) ist in Ägypten leider an der Tagesordnung.

Entführung, Vergewaltigung, Zwangsverheiratung und Zwangsislamisierung junger Christinnen sind der Polizei gemeldet worden, 25 Fälle sind in letzter Zeit dokumentiert. Die Behörden tun so gut wie nichts zur Aufklärung und Rückführung der Mädchen zu ihren Eltern, die Fälle werden systematisch verschleppt. – Dies geschieht in einem Lande, in dem der Fremdenverkehrt eine Haupteinnahmequelle ist, Christen aus Europa Entspannung und Erholung suchen. Vom Schicksal der einheimischen Christen nehmen sie dabei keine Notiz.

Der amerikanische Präsident Obama hat sehr kurz nach seinem Amtsantritt  in Kairo der muslimischen Welt die Hand zur Versöhnung geboten. Zu dieser Versöhnung gehörte allerdings auch die Gewährung der einfachsten Menschenrechte an die eigene Bevölkerung in Ägypten, beispielsweise aus freien Stücken, ohne jeden Zwang, seinen Glauben wechseln zu dürfen. Ein Kopte darf in Ägypten jederzeit Moslem werden, will ein Moslem umgekehrt in seinem Ausweis eintragen lassen, dass er Christ geworden ist, wird ihm das von der Behörde verweigert. Die demokratische Revolution in Ägypten, von uns zu Recht mit Sympathie betrachtet und unterstützt, hat jedoch an der Einstellung der Muslime gegenüber den Kopten bislang nichts geändert.

Anfang März brannte eine Kirche in der Kleinstadt Sol südlich Kairo, daraufhin kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Kopten und Muslimen im Kairoer Armenviertel Mokattam: sieben getötete Kopten, sechs getötete Muslime, mehr als einhundert Verletzte. Und Anfang Mai wurde im Kairoer Armenviertel Imbaba von wütenden Islamisten die St.-Mina-Kirche angezündet, weil dort angeblich eine zum Islam konvertierte Christin festgehalten worden sei: zwölf Tote, 230 Verletzte, 190 Festnahmen.

Die christlichen Wurzeln Ägyptens werden oft übersehen. Doch sind sie für das Mönchswesen und die Heilige Schrift von großer Bedeutung. Im Katharinenkloster auf der Halbinsel Sinai wurde vor hundertfünfzig Jahren der Codex Sinaiticus, eine griechische Bibel aus dem vierten Jahrhundert, entdeckt. In ungebrochener Tradition besteht das Kloster bis heute.

Ulrich Meisser







Zurück