Das Drama in Syrien


Die Nachrichten und Bilder aus Syrien erschrecken und stumpfen uns gleichzeitig ab, da sie sich jeden Tag wiederholen, Unüberprüfbare Berichte aus Millionenstädten und kleinen Ortschaften, an der Zivilbevölkerung verübte Gräueltaten, Granaten feuernde und explodierende Panzer, niedergeschlagene und ermordete Gefangene beider Seiten, erbeutete Waffen, Siegesmeldungen beider Seiten, die täglich wachsende Zahl der in diesem Bürgerkrieg zu beklagenden Toten, die in die Zehntausende gehende Zahl der Flüchtlinge und ihr Elend… Eigentlich möchte der europäische Betrachter nur ein Ende des Grauens, eine Übereinkunft zu einer Waffenruhe, die irgendeine friedliche Lösung herbeiführt. Genau die ist aber nicht zu erwarten.

Die Herrschaft der Assads

Im Gefolge des sogenannten arabischen Frühlings, des Aufbegehrens junger und intellektueller Kräfte gegen autoritäre Regime, das in Tunesien, Ägypten und endlich auch in Libyen zum Erfolg führte, am Persischen Golf, in Bahrein, mit Hilfe Saudi-Arabiens brutal niedergeschlagen wurde, begannen vor geraumer Zeit auch in Syrien zunächst friedliche Proteste gegen die dortige Führung unter Präsident Baschar al-Assad. Die Verhältnisse in Syrien sind aber, außer dass das herrschende Regime nicht daran denkt, vor den Protesten zu weichen, in vieler Hinsicht anders als in den vorgenannten arabischen Staaten.
Die Herrschaft der Baath-Partei in Syrien stammt noch aus einer Zeit, als in der arabischen Welt der von der damals noch existierenden UdSSR propagierte Sozialismus die Köpfe der dortigen Revolutionäre beherrschte. Sie erkämpften die Unabhängigkeit ihrer Staaten vom Kolonialismus des Westens. Dieser Sozialismus hatte mit Religion nichts am Hut. Schon der Vater des heutigen Präsidenten Baschar, Hafis al-Assad, Angehöriger der religiösen Minderheit der Alawiten, hatte sich 1970 an die Macht geputscht und sofort seinen Clan in allen einflussreichen Stellen von Staat und Armee untergebracht. Neben den Alawiten, die in ihrer Geschichte mancherlei Verfolgungen durch die Mehrheit der sunnitischen Muslime hatten erdulden müssen, fühlten sich auch die Drusen, eine weitere kleine religiöse Minderheit, und die in viele Konfessionen aufgegliederten Christen unter dem Regime der Assads geschützt.

Die Arabellion

Am Anfang der Proteste gegen die Herrschaft der Staatspartei und ihren jede politische Opposition unterdrückenden Geheimdienst waren auch Alawiten und Christen unter den Aufbegehrenden. Als jedoch Armee und paramilitärische Verbände auf Demonstranten schossen, wurden im Laufe der teilweise riesigen Trauerzüge für Gefallene Sprechchöre laut: „Christen in den Libanon, Alawiten in’s Grab!“ Die sunnitische Bevölkerungsmehrheit, in Staat und Armee von Führungspositionen ausgeschlossen, hatte schon 2011 als Feindbild die Gruppe der Alawiten, aus der sich die Führungsschicht der Baath-Partei rekrutierte, und die Christen, die unter der weltanschaulich neutralen Herrschaft einer sozialistischen Partei sozial hatten aufsteigen können und zu Wohlstand gelangt waren, ausgemacht.
Alawiten, Drusen und Christen, die bisher in Frieden und ohne Diskriminierung hatten leben können, fürchten nun, dass nach einem Ende des Clans der Assads die Wut und Erbitterung, die ein Bürgerkrieg immer im Gefolge hat, sich gegen sie richten werde. Die Drusen, mit 300000 Angehörigen die kleinste Gruppe, versuchen, sich aus dem Konflikt herauszuhalten, was ihnen von den Sunniten als mangelnde Parteinahme verübelt wird. Die Alawiten, mit 12 – 15 % der Bevölkerung etwa 2,5 Millionen, sehen sich, selbst wenn sie Assad-kritisch eingestellt sind, zum Kampf um ihre nackte Existenz genötigt. Die Christen, mit 1,5 Millionen etwa 10 %, werden gerade wegen ihrer grundsätzlich friedfertigen Haltung von den sunnitischen Eiferern, den Salafisten, bereits jetzt verfolgt und fürchten für die Zeit nach dem Sieg der Aufständischen das Schlimmste.

Die Furcht der Christen

Der syrisch-orthodoxe Erzbischof Cyril Aphrem Karim formulierte bereits im Juni 2011: „Die Geschichte hat uns bewiesen, dass es Christen in der Region stets besser ergeht unter Herrschern, die im Westen als Diktatoren angesehen werden.“

Unter die Kämpfer der Opposition mischen sich mehr und mehr kampferprobte Dschihadisten von Al Quaida. Bis zum Januar 2012 wartete der Chef Al Quaidas, Aiman Al-Sawahiri, ab, bis sich die sunnitischen Aufständischen der überlegenen Militärmaschinerie des Regimes nicht mehr erwehren konnten. Jetzt sind die Al-Quaida-Kämpfer als Helfer der Aufständischen willkommen. Das Ziel dieser Kämpfer aus Libyen, Marokko, und Saudi-Arabien, die Errichtung eines islamischen Gottesstaates unter dem Gesetz der Scharia, ist zwar der syrischen Opposition von Hause aus fremd. Doch nach dem Ende des Assad-Regimes könnte auch Syrien unter dem Einfluss des islamischen Netzwerkes das ursprüngliche Ziel der Arabellion, der Aufbau einer Gesellschaft aller Syrer auf den Werten der Demokratie, der Menschenrechte, der Gleichberechtigung der Frauen und der Achtung der Minderheiten zugunsten eines einseitig muslimisch geprägten Staates nach dem Vorbild Ägyptens verlorengehen.
Aus den großen Städten Aleppo und Damaskus fliehen aus Furcht vor Verfolgung bereits jetzt die 60- bis 80000 Armenier. Schon vor einem Jahr äußerte der melkitisch-katholische Patriarch Gregorios III. prophetisch: „Unsere Christen werden die ersten Opfer eines Umsturzes sein.“ Bereits jetzt werden Christen in Aleppo gezielt von Oppositionellen ermordet. Andere erhalten Drohbriefe, sich entweder dem Aufstand anzuschließen oder das Land zu verlassen. Sie befürchten den letzten Akt eines jahrhundertelangen Dramas.

Quellen: CSI (Christian Solidarity International), FAS (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung) , SZ (Saarbrücker Zeitung), Wikipedia

Ulrich Meisser




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